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    © bezusphoto - 123RF

    Die Hygiene-Hypothese bei Neurodermitis: Wieviel Schmutz braucht das Immunsystem?

    Alles picobello sauber bis ins kleinste Detail? Kein Staubkorn am Boden, die Schuhe bitte draußen ausziehen und nach dem Spielplatz sofort die Kleidung wechseln? Mit ĂŒbertriebener Hygiene tust du dem Immunsystem deines Kindes nichts Gutes und begĂŒnstigst unter UmstĂ€nden sogar das Entstehen von Allergien – das zeigen verschiedene Studien.

    Die Hygiene-Hypothese in Bezug auf Atopische Erkrankungen

    Die so genannte Hygienehypothese, auch Bauernhof- oder Urwaldhypothese genannt, besagt, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, deutlich seltener an Asthma, Heuschnupfen oder anderen Allergien erkranken als Kinder, die in einer anderen – vermeintlich reineren – Umgebung aufwachsen. Ebenso weiß man, dass Infektionen mit Bakterien, Pilzen oder sogar mit WĂŒrmern vor Allergien schĂŒtzen.

    Die Hygienehypothese macht auch deutlich, dass Einzelkinder öfter allergische Erkrankungen haben als Kinder, die mit Geschwistern aufwachsen. Besonders Àltere Geschwister stÀrken offenbar das Immunsystem. Es scheint, dass sich das Immunsystem sich bei Geschwistern vermehrt mit Infektionserregern auseinandersetzen muss. Wachsen Kinder mit Haustieren auf, profitiert das Immunsystem auch davon.

    Ab in den Kuhstall

    Neueste Untersuchungen zeigen ĂŒberdies, dass besonders der Kontakt mit KĂŒhen in KuhstĂ€llen und das Trinken von unbehandelter Kuhmilch Kinder besonders vor Allergien und atopischen Erkrankungen schĂŒtzen. Es scheint so, dass Schweine, Ziegen oder Schafe nicht den selben immunologischen Benefit haben wie KĂŒhe. Im Kuhstall finden sich die wirksamsten Keime, die das Immunsystem so richtig stĂ€rken. In einer niederlĂ€ndischen Studie von 2018 hat sich gezeigt, dass dieser Schutzeffekt auch in einer Entfernung von ca. 500 Metern vom Kuhstall anhĂ€lt. Der schĂŒtzende Faktor muss sich also in der Umgebungsluft befinden.

    © Surkov Vladimir - shutterstock

    Atopische Erkrankungen als ĂŒberschießende Immunantwort

    Erinnerst du dich vielleicht auch noch an den Spruch unserer Großeltern: „Ein bisserl Dreck hat noch keinem geschadet!“ Damit hatten sie nicht unrecht, denn die hygienischen Bedingungen spielen auf jeden Fall bei der Entwicklung allergischer und atopischer Erkrankungen eine wichtige Rolle: Die „Auseinandersetzung“ des kindlichen Organismus mit Schmutz und Keimen ist die nĂ€mlich die wichtigste Voraussetzung fĂŒr eine normale Entwicklung des Immunsystems. So geht man davon aus, dass ĂŒbertriebene Hygiene die korrekte Aktivierung des Immunsystems verhindert. Das „unterbeschĂ€ftigte“ Immunsystem bildet in einer ĂŒberschießenden Reaktion daher allergische/atopische Erkrankungen aus, dazu gehören etwa Heuschnupfen, Asthma oder Neurodermitis.

    Wenn harmlose Stoffe zum Problem werden

    Doch wie unterscheidet sich diese Überempfindlichkeitsreaktion des Immunsystems von einer normalen Immunantwort? Durch die Auslöser! Bei einer allergischen Erkrankung reagiert das Immunsystem nĂ€mlich auf an sich harmlose Stoffe, die man auch als Allergene bezeichnet. Diese Antigene lösen im Körper – auch in geringen Mengen – Krankheitssymptome aus. Im Gegensatz zu einem Krankheitserreger haben sie selbst aber keine direkt krankmachende Wirkung. Solche Allergene können BlĂŒtenpollen oder Rauch sein (etwa bei Asthma), aber auch mechanische Reize wie z. B. kratzige Wolle bei der Neurodermitis.

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    Neurodermitis: Vermeide kratzige Woll

    Sauber, aber nicht klinisch rein

    Es steht außer Zweifel, dass ein Baby oder Kleinkind in einer sauberen Umgebung aufwachsen muss. Doch besondere Hygienemaßnahmen, wie das Desinfizieren von HĂ€nden und FlĂ€chen hat im Haushalt nur dann Sinn, wenn ein Familienmitglied an einer ansteckenden Krankheit wie zum Beispiel eine Magen-Darm-Infektion, Influenza oder Ă€hnliches, erkrankt ist. Ansonsten reichen normale Putzmittel und warmes Wasser völlig aus.

    Nur so kann das kindliche Immunsystem lernen, sich mit den unterschiedlichsten Erregern auseinanderzusetzen und seine volle Schutzfunktion fĂŒr den Organismus ĂŒbernehmen. Dazu musst du wissen: Auf der menschlichen Haut leben viele Bakterien, die sich unter anderem von Schweiß und Talg ernĂ€hren. Beides wird durch die Haut abgesondert. Die ausgeschiedenen Substanzen und die Bakterien bilden die sogenannte Hautflora, die vor Krankheitskeimen schĂŒtzt.

    © Yuganov Konstantin - shutterstock
    Sauber, aber nicht klinisch rein

    Die Behandlung von atopischer Dermatitis

    Das Ziel in der Behandlung der Atopischen Dermatitis ist:

    • den quĂ€lenden Juckreiz zu lindern
    • die irritierte entzĂŒndliche Haut zu beruhigen

    Klar im Fokus der Therapie liegt dabei die kontinuierliche tÀgliche Hautpflege mit fett- und feuchtigkeitsspendenden Salben und Cremen, um die defekte Hautbarriere auszugleichen. Bei einem sehr leichten Verlauf von Atopischer Dermatitis reicht diese Therapie zur Linderung der Beschwerden aus.

    Bei mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis wird zustÀzlich mit Kortison, Calcineurin-Inhibitoren (Tacrolimus und Pimecrolimus) sowie immunsupprimierenden oder immunmodulierenden Substanzen behandelt. Als Begleittherapien können UV-Bestrahlungen sowie Psychotherapie zum Einsatz kommen.

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    Die tÀgliche Hautpflege bei Neurodermitis ist das A und O der Behandlung

    Neurodermitis Tipps

    Richtige Reinigung und Pflege der Haut

    Bei Neurodermitikern ist die Hautabwehr durch die defekte Hautbarriere und das gestörte Mikrobiom herabgesetzt, daher ist es wichtig, die Keimzahl auf der Haut zu reduzieren. Dies schaffst du mit der richtigen Hautpflege!

    • Verwende warmes und nicht zu heißes Wasser (max. 35 Grad) und seifenfreie Reinigungsprodukte, diese trocknen die Haut weniger aus.
    • TĂ€gliches Duschen oder kurzes Baden ist erlaubt.
    • Tupfe die Haut nach dem Waschen vorsichtig trocken – auf keinen Fall rubbeln!
    • Zum Schluss ordentlich eincremen, am besten mit speziell fĂŒr Neurodermitis geeigneten Pflegeprodukten. Dazu empfiehlt sich ein allergen- und parfĂŒmfreies Produkt aus der Apotheke.
    • Passe die Hautpflege dem aktuellen Hautzustand an: Je trockener die Haut ist, umso reichhaltiger (fettreicher) sollte die Creme sein. Bei EntzĂŒndungen der Haut muss die Pflege hingegen feuchtigkeitsspendend und leichter sein (Lotion).
    • Das Eincremen solltest du zweimal tĂ€glich zu deinem persönlichen Pflegeritual machen.

    Systemische Therapien fĂŒr schwere VerlĂ€ufe

    Ein neuer innovativer Wirkstoff ist Dupilumab, ein vollstĂ€ndig humaner monoklonaler Antikörper, der die Signalwege von Interleukin-4 (IL-4) und Interleukin-13 (IL-13) blockiert. Im Gegensatz zu einem Immunsuppressivum unterdrĂŒckt Dupilumab nur ganz gezielt einen kleinen Teil des Immunsystems, nĂ€mlich exakt den, der im Zusammenhang mit der Neurodermitis sozusagen ĂŒberreagiert. Monoklonale Antikörper sind sehr gut vertrĂ€glich und reduzieren bei vielen Patienten den quĂ€lenden Juckreiz und das Hautbild wird deutlich verbessert. Umfassende Studiendaten belegen die rasche und langanhaltende EffektivitĂ€t und Sicherheit von Dupilumab. Dupilumab ist seit 2017 zur Langzeittherapie bei mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis bei Erwachsenen zugelassen, seit MĂ€rz 2023 auch fĂŒr Babys ab dem vollendeten 6. Lebensmonat. Die Ausweitung der Zulassung auf Babys unterstreicht einmal mehr das bekannte etablierte Sicherheitsprofil. Damit ist Dupilumab die einzige systemische Langzeittherapie, die in der EU fĂŒr diese junge Patientengruppe zugelassen ist.

    Der monoklonale Antikörper Dupilumab wird alle zwei Wochen unter die Haut gespritzt (subkutane Injektion). Die Patienten können das nach einer Einschulung durch den Arzt mit einiger Übung selbst durchfĂŒhren, das erspart den Weg in die Praxis.  Als Nebenwirkung ist in erster Linie mit AugenentzĂŒndungen (Konjunktivitis) oder trockenen Augen zu rechnen, diese Beschwerden sind aber mit Cortison oder Ciclosporin Augentropfen gut behandelbar.

    Eine weitere Zulassung fĂŒr Neurodermitis haben sogenannte JAK-Inhibitoren, die einmal tĂ€gich in Tablettenform eingenommen werden.

    Informiere dich bei deinem Arzt ĂŒber diese neue Therapieformen, die dir oder deinem Kind neue LebensqualitĂ€t schenken können. Gib dich nicht mit weniger als Bescherdefreiheit zufrieden!

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    Dr. Leo Richter

    Das sagt der Experte Dr. Leo Richter

    Das Immunsystem von kleinen Kindern wird durch den Kontakt zu Keimen erst richtig aufgebaut. Entgegen anders lautenden Meinungen darf man SĂ€uglinge und Kleinkinder aber tĂ€glich baden. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die tĂ€glich gebadet und tĂ€glich eingecremt werden weniger hĂ€ufig unter Neurodermitis leiden als Kinder, die nur zweimal in der Woche in der Badewanne plantschen dĂŒrfen. Wichtig dabei: Das Wasser sollte eine Temperatur von ca. 33 °C haben und die Badedauer sollte 15 bis 20 Minuten nicht ĂŒberschreiten. Bei Kindern, die unter Neurodermitis leiden, sollte – falls vom Arzt entsprechend verordnet – eine Cortisonsalbe ebenfalls direkt nach dem Baden aufgetragen werden, da die Haut in dieser Zeit besonders aufnahmebereit ist.
    Dr. Leo Richter, Facharzt fĂŒr Dermatologie

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    Neurodermitis im Kindesalter belastet die ganze Familie

    Hilfe, mein Kind hat Neurodermitis! Ist dein Kind an Neurodermitis erkrankt, leidet nicht nur der kleine Patient, die gesamte Familie ist davon betroffen. Zur Sorge und zur finanziellen Belastung durch die Behandlung kommt oft das GefĂŒhl der Ohnmacht, des „Nicht-Helfen-Könnens“. Umso wichtiger ist es, dir rechtzeitig UnterstĂŒtzung und Zuspruch zu holen!


    Infos zum Beitrag

    Autor: Mag. (FH) Margit Wickhoff
    Experte: Dr. Leo Richter
    Quellenangabe: Interview mit Dermatologe Dr. Leo Richter
    Stand der medizinischen Informationen: 13. MĂ€rz 2023
    Letzte Aktualisierung: 05. April 2023

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